Demut & Provokation: Zum neuen Jesus-Buch des Papstes

"Es ist vollbracht": Gern mag man sich einen solchen Seufzer von Papst Benedikt XVI. nach dem Abschluss der Arbeiten am dritten und letzten Band seiner Jesus-Trilogie vorstellen. Denn wenn nun dieser letzte Band zur Kindheit Jesu im Handel ist, liegt ein wahrer Kraftakt hinter dem Papst, der seine letzten Jahre so gerne "nur" der Wissenschaft gewidmet hätte. Fünf Jahre sind vergangen seit der Präsentation des ersten Jesus-Buches; fünf Jahre nicht nur voller wissenschaftlicher Lektüre, sondern voller Reisen, Audienzen, Predigten, kurz: Es erstaunt, dass der eng gesteckte Terminplan auch noch Platz für wissenschaftliches Arbeiten und durchaus "angriffige" theologische Theoriebildung lässt.

 

Denn wenn auch der letzte, nun präsentierte, recht schmale Band der Jesus-Reihe theologisch fast "brav" und im Charakter persönlicher tiefer Meditationen daherkommt, so muss an den hohen und durchaus provokanten Anspruch des Gesamtbuchprojekts "Jesus von Nazareth" erinnert werden: es geht dem Papst nämlich um nicht weniger als eine Korrektur der wissenschaftstheoretisch kaum mehr hinterfragten Praxis einer historisch-kritischen Bibelauslegung; einer Bibelauslegung, so Benedikt XVI., die die wahre Gestalt Jesu eher verschleiert denn erhellt und eine existenzielle Begegnung eher verhindert denn ermöglicht.

 

Er will hingegen zeigen, dass "der historische Jesus und der Christus des Glaubens ein und derselbe" sind, und zwar "auch in historischem Sinn", erläuterte er im ersten Band seinen methodischen Zugang. "Denn für den biblischen Glauben ist es wesentlich, dass er sich auf wirklich historisches Geschehen bezieht. Er gründet auf Geschichte, die sich auf dem Boden dieser Erde zugetragen hat". Das Buchprojekt stelle sich darum der Herausforderung, den Jesus der Evangelien als den "historischen Jesus" im eigentlichen Sinn darzustellen - ein Zugang, der in der Fachsprache als "kanonische Exegese" bezeichnet wird.

 

"Ist das Gesagte wahr?"

 

Nicht zuletzt wegen dieses provokanten Zugangs hatten die ersten beiden Bände der Jesus-Reihe eine rege Debatte hervorgerufen und damit auch hohe Absatzzahlen bewirkt. Noch dazu gelang es Benedikt XVI., seine über weite Strecken sehr persönlichen Reflexionen immer wieder durch kleine wissenschaftliche "Aha-Erlebnisse" zu unterbrechen - etwa im Blick auf die Datierung des letzten Abendmahls, den Prozess Jesu vor Pilatus oder den intensiven Dialog mit dem Judentum über die Figur und Rolle Jesu in der biblischen Tradition.

 

Ist ihm dies nun auch im dritten und letzten Band gelungen? - Ein Band schließlich, den er im Vorwort nicht als eigenständiges Werk bezeichnet, sondern als "kleine Eingangshalle" zu den vorausgegangenen Büchern? Den Anspruch jedenfalls erhebt der Papst erneut gleich vorneweg, wenn er die "rechte Auslegung" der Bibel in einem Zweischritt sieht: in einer historisch-kritischen Komponente und schließlich in einem existenziellen Zugang: "Ist das Gesagte wahr? Geht es mich an? Und wenn, wie?"

 

In vier Hauptkapiteln wendet sich Benedikt XVI. daraufhin zentralen Passagen und Elementen der Kindheitserzählungen Jesu zu: der Frage nach der Herkunft Jesu, der Frage nach der Ankündigung der Geburt, der Frage nach der Geburt Jesu in Betlehem sowie der Huldigung Jesu durch die "Weisen aus dem Morgenland". Ein Epilog zur Begebenheit des zwölfjährigen Jesus im Tempel schließt den Band ab - dabei ist gerade diese Szene es, so der Papst, die für ihn den hermeneutischen Schlüssel zur gesamten Gestalt und Rolle Jesu für den Glauben darstellt: "Es wird wirklich sichtbar, dass er wahrer Mensch und wahrer Gott ist" - ein ineinander, dass sich jeder Definition entziehe, dass aber doch "ganz konkret in der kleinen Geschichte vom Zwölfjährigen" aufscheine.

 

Diese Gratwanderung der Bestimmung Jesu - sie durchzieht alle Kapitel auch dieses dritten Bandes. "Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt" - Ganz Mensch, ganz Gott: diesem Geheimnis nähert sich Benedikt XVI. auch in den Kindheitsgeschichten stets aufs Neue an - Geschichten, die der Papst zugleich als "gedeutete und von der Deutung her geschriebene, konzentrierte Geschichte" versteht.

 

Im Zeichen der Demut

 

Immer wieder leuchten dabei auch jene Themen auf, die der Papst in den vorausgegangenen Bänden verfolgt hat: sei es der Dialog mit dem Judentum und der alttestamentlichen Prophetie, sei es die Abgrenzung gegen jede Form einer ideologischen Vereinnahmung Jesu als "Rebell" oder als "Liberaler". Jesus sei stets "Gehorchender" geblieben, ein Gehorchen indes, das Freiheit atmet, da es sich dem (Heils)Willen Gottes beugt. Die Freiheit Jesu, so der Papst, bleibe "die Freiheit des wahrhaft Frommen", die Freiheit einer "radikalen Treue" zu Gott.

 

Wissenschaftliche "Rückendeckung" holt sich Benedikt XVI. bei all dem vor allem von "Klassikern" der Bibelauslegung - von Joachim Gnilka, Rudolf Pesch, Gerhard Delling und schließlich von Klaus Berger. Selbst der reformierte Theologe Karl Barth kommt hier zu neuen Ehren, beruft sich der Papst doch im Blick auf Jungfrauengeburt und Auferstehungsglauben auf diesen wohl größten protestantischen Denker des 20. Jahrhunderts. Auf Berger beruft sich Benedikt XVI. indes, wenn es um die zentrale Frage nach der Historizität der Kindheitserzählungen geht: "Matthäus erzählt uns wirkliche Geschichte, die theologisch bedacht und gedeutet ist, und hilft uns so, das Geheimnis Jesu tiefer zu verstehen."

 

Mehr als die ersten beiden, stärker wissenschaftlich-diskursiv aufgebauten Bände durchweht den dritten Band eine tiefe gläubige Demut. Demut vor dem Geheimnis, vor der Unverstehbarkeit Jesu mit menschlichen Kategorien, vor der Größe der universellen Sendung, Demut aber auch vor der Größe der biblisch-jüdischen Tradition und dem damit zu vereinbarenden jesuanischen Neuanfang, denn: "Das Zeichen des Neuen Bundes ist die Demut, die Verborgenheit - das Zeichen des Senfkorns. Der Sohn Gottes kommt in der Niedrigkeit. Beides gehört zusammen: die tiefe Kontinuität in der Geschichte von Gottes Handeln und die Neuheit des verborgenen Senfkorns."

 

Das umwälzend Neue, so schreibt Benedikt XVI. an anderer Stelle, sei die in Jesus von Nazareth zum Ausdruck kommende "anthropologische Wende": "Der von Gott angenommene Mensch, so zeigt sich (...) an seinem eingeborenen Sohn, ist größer als alle Mächte der materiellen Welt und mehr als das ganze All." Ein Spannung zum Begriff der Demut, gewiss, aber eine Spannung, die der Gläubige demütig und betend hinnehmen sollte - wie die "Weisen aus dem Morgenland", die Knie und Haupt beugen vor dem hilflosen Kind in der Krippe.

 

Die deutschsprachige Ausgabe auch dieses letzten Bandes wird vom Verlag Herder herausgegeben und ist ab 21. November im Buchhandel erhältlich. Ob die Verkaufszahlen allerdings die Millionenhöhe erreichen werden, die der erste Band erzielt, bleibt abzuwarten, auch wenn das Buch rechtzeitig zur kauffreudigsten Zeit im Jahr erscheint. Der erste Band des Jesus-Buches war im April 2007 erschienen und behandelte den Zeitraum von der Taufe Jesu im Jordan bis zur Verklärung. Er wurde weltweit mehr als zwei Millionen Mal verkauft. Der zweite Band über Leidensgeschichte, Kreuzigung und Auferstehung folgte im März 2011.

 

Erschienen in "Kathpress-Tagesdienst" am 21. November 2012

 

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