Wir Angepassten!

In Bonn findet derzeit der Katholische Medienkongress statt. Die deutsche katholische Publizistik zeigt ihre ganze Kraft und Vielfalt. Und doch bleibt nach dem ersten Tag ein fader Beigeschmack. Eine Nestbeschmutzung.

 

Auftakt zum Katholischen Medienkongress 2017
Auftakt zum Katholischen Medienkongress 2017

Schöner kann man kaum tagen. Ein Stehkaffee an der Rheinpromenade, am Horizont die Erhebungen des Siebengebirges. Die Schatten der deutschen Polit-Titanen neigen sich indes tief von den Wänden des Tagungshotels Königshof herab, dieser heimlichen Kultstätte der Bonner Republik. Unter den Augen Adenauers findet sich alles ein, was in der Welt katholischer Publizistik Rang und Namen hat. Und darüber hinaus.

 

Tatsächlich haben die Veranstalter des Katholischen Medienkongresses keine Mühen und wohl auch Kosten gescheut, einen hochkarätigen ReferentInnen-Pool zusammenzustellen. Von BILD bis ARD, von Telekom bis Bischofskonferenz gibt sich die (chefredaktionelle) Ehre, wem Ehre gebührt. Das Programm: Die Digitalisierung. "Das ist erst der Anfang" heißt es etwas unheilvoll auf dem Programmzettel. Unwillkürlich muss ich lachen. "Begonnen der Angriff der Klonkrieger hat" murmle ich, als ich mich zur Eröffnung in den Rheinsaal begebe.

 

Die Kirche dürfe die "Deutungshoheit über digitale Entwicklungen" nicht nur anderen Gruppen überlassen, formulierte da etwa Medienbischof Gebhard Fürst. Es brauche Medienkompetenz für das 21. Jahrhundert, es gelte, sich als "möglichst kompetent" einzubringen, ohne in Kulturpessimismus zu verfallen. Schonmal gehört? Ja, erstmals bei einem Medienpädagogik-Grundseminar während meines Studiums vor 20 Jahren...

 

Mehr Kulturpessimismus, bitte!

 

Sei nicht so streng, denke ich mir. Wird schon, wird schon… Nur leider wurde es nicht. Im Gegenteil. Denn mit seiner Absage an den Kulturpessimismus hat Fürst vortrefflich und fatal den Boden bereitet für Tanit Koch. Gewiss, provokant müssen EröffnungsrednerInnen sein, anecken soll man an ihnen, den Puls sollen sie mit Witz und steilen Thesen in die Höhe treiben. Und die BILD-Chefredakteurin liefert. Es gibt Kritik am deutschen Presserat und ein Plädoyer für einen offeneren Umgang mit der AfD.

 

Und Koch hat doch glatt die Chuzpe, den BILD-Boulevard zu einer tragenden Säule der Demokratie zu verklären. Liest die Frau jemals ihr eigenes Blatt? Kennt sie den BILDblog? Will sie allen Ernstes behaupten, mit dieser Mischung aus voyeuristischer Nippelschau und marktschreierischem Fünf-Zeilen-Journalismus ist eine wetterfeste politische Öffentlichkeit zu speisen?

 

Sie will. Offenbar. Was mich aber noch mehr verstört:  Auf all das reagiert das Publikum – nicht. Im besten Fall hat es ihm den Atem verschlagen. Oder gibt es gar stille Zustimmung? Ein paar wenige echauffieren sich derweil im Twitter-Paralleluniversum über die Worte Kochs, aber es lag eine seltsam bleierne Lethargie über dem Saal. Diese löst sich schließlich in den nachmittäglichen Panels. Agiler sollte es da zugehen, offene Mikrofone werden gereicht und die große, glitzernde Welt der digitalen Medien und ihre Folgen besungen.

 

Sirenengesang der Neuen Medien

 

Tatsächlich, besungen. Denn auch hier ist Kritik, auch Selbstkritik, rar. Algorithmen? Sind doch gar nicht so schlimm, schließlich erleichtern sie uns das Leben. Ein bisschen Systemkritik, bitte gern, aber bloß nicht zu viel: Es gibt keine Algorithmen-freien Räume mehr, immer bewegen wir uns schon in ihnen – selbst, wenn wir versuchen, dagegen aufzubegehren. Danke, das reicht. Hybrid-Journalismus? Natürlich, die Nachwuchsjournalisten sollen ja möglichst viele Formen des Erzählens beherrschen und kennenlernen.

 

Ja, sollen sie. Aber sie sollen bitteschön auch so viel kritische Reflexion ihres Tuns zustande bringen, dass sie Momente der Selbstausbeutung erkennen und benennen können, dass sie Überforderung sehen, wo ein Verlag, ein Chefredakteur nach Text, Video und SEO-optimierter Aufbereitung in 90 Minuten verlangt; und dass der Sirenengesang der Neuen Medien in den seltensten Fällen zu journalistischen Höhenflügen verleitet, in den meisten hingegen zum Orientierungs- und letztlich Qualitätsverlust führt. 

 

Die rote oder doch lieber die blaue Pille?

 

Stopp. Mein Schädel brummt. In einer Pause flüchte ich an die Luft, gehe eine Runde an der Promenade joggen. Richtung Siebengebirge. Offline. Ohne Cloud über mir. Schließlich scheint die Sonne gnädig und mein Handy liegt auf dem Hotelbett. Wie weit sind wir gekommen?, frage ich mich dabei. Wie weit bin ich selber gekommen, der ich in genau dieser Mühle der digitalen Medien stecke, twitternd, die eigenen virtuellen Profile pflegend, daueronline.

 

Tatsächlich hätte ich mir ein wenig mehr Kritik gewünscht an und von diesem ersten Tag. Ein wenig mehr Irritation. Marshall McLuhans spätere Variation seines in Stein gemeißelten Stehsatzes "The medium is the message" scheint ihr süßes Gift auch in katholische Medienherzen hineingesenkt zu haben: "The medium is the massage". Ist die Massage so angenehm, der Verblendungszusammenhang schon so perfekt, dass das Aufbegehren gegen dumme Boulevard-Thesen und der Einspruch gegen die Probleme eines sich nach unten nivellierenden "Hybrid-Journalismus" keine Option mehr ist?

 

Gierig haben wir aus Morpheus Hand die blaue Pille genommen und geschluckt. Das Handy wird gestreichelt, Tweets werden abgesetzt oder einfach Fußballergebnisse nachgelesen, während auf der Bühne das Loblied auf die Digitalisierung gesungen wird. Adorno würde im Grabe rotieren…

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