Verdanktes Leben

Vor einigen Wochen habe ich das Grab meiner Großeltern in meiner niederrheinischen Heimat besucht...

Foto: privat
Foto: privat

 Vor einigen Wochen habe ich das Grab meiner Großeltern in meiner niederrheinischen Heimat besucht. Ein schlichter Grabstein, ein ewiges Licht, ein paar Blumen. Ein Grab wie viele andere. Und doch ein besonderes Grab, denn es ist der Ort meiner familiären Erdung. Im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht nur, weil es ein Ort ist, der auf uns alle wartet, sondern weil ich dort etwas spüre, was der Alltag sonst selten bereit hält: Eine Verbindung über die Generationen hinweg, eine geheime Verabredung, dass da noch etwas auf uns wartet, noch etwas ist, was sich nicht im Hier und Jetzt erschöpft. Ein Lebenszeichen aus dem Grab heraus.

 

Plötzlich ein Schwall Wasser von oben: Ein Rasensprenger wässert mich und meine Kinder, die neben mir am Grab stehen, ordentlich ein. Der Spätsommer hat sich müde und staubtrocken über alles gelegt. Nur wo reichlich gewässert wird, sprießen Gras und Leben. Wie ausgerechnet hier auf dem Friedhof. „Los, spielen wir Verstecken“, reißen mich meine Kinder aus den Gedanken. Schon rennen sie los, verstecken sich hinter einer Jesus-Statue auf dem alten, waldreichen Friedhof. Auch ein Lebenszeichen, denke ich mir seufzend und nehme die Verfolgung auf, um die beiden dann sanft aus dem Friedhof und zur nächsten Eisdiele „umzulenken“.

 

Meinen Großeltern, von denen ich an dieser Stelle schon häufiger erzählt habe, hätte das sicherlich gefallen. Nicht die ungestüme und für manche vielleicht respektlos wirkende Art, sich auf einem Friedhof zu bewegen, sondern vielmehr das übersprudelnde Leben, das sich selbst von einem Ort des Eingedenkens und Trauerns nicht überdecken oder stillstellen lässt. Lebensbejahung nicht nur gegen den Tod, sondern aus dem humorvollen, ja, leichtfüßigen Umgang mit dem Tod heraus. Sie kannten den italienischen Philosophen Giambattista Vico wohl nicht – aber sie lebten (vor), was er schon im 18. Jahrhundert vermutete: Dass Humanität im Verb „humare“ wurzelt, also in der Fähigkeit, den anderen würdevoll zu beerdigen, mit ihm also auch über den Tod hinaus so umzugehen, als wäre er weiterhin einer von uns, den Lebensfunken in ihm nicht verloren zu geben.

 

"Die Zeit zwischen

Allerheiligen & Weihnachten erinnert daran,

dass der Tod nicht das letzte Wort hat und

sich unser Leben jenen verdankt,

auf deren Schultern wir stehen.“

 

Indem diese Ausgabe des miteinander die Zeitspanne zwischen Allerheiligen und Weih- nachten abdeckt, umfasst sie somit das Große und Ganze, den Tod und das neue, aufkeim- ende Leben. Im festen Glauben daran, dass der Tod nicht das letzte Wort haben wird – und dass alles Leben sich jenen verdankt, auf deren Schultern wir stehen dürfen. In diesem Sinne wünsch ich Ihnen eine von Lebenszeichen gesäumte Advent- und Weihnachtszeit!

 

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