Als wir vor 15 Jahren heirateten, wählten meine Frau und ich ein eher ungewöhnliches Zitat als Motto für die Trauung: “Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich”.
Als wir vor 15 Jahren heirateten, wählten meine Frau und ich ein eher ungewöhnliches Zitat als Motto für die Trauung: “Steh auf und iss! Sonst ist der Weg zu weit für dich”. Mit diesen Worten wendet sich Gott im Alten Testament an den Propheten Elija, der sich unter einem Strauch liegend den Tod wünscht. Denn er hat seinen prophetischen Auftrag erfüllt, aber Gott hat ihn im Stich gelassen. Bis ihn ein Engel anrührt und ihn auf sehr weltliche Weise, nämlich mit Brot und Wasser, stärkt. Elija macht weiter – allem Zweifel zum Trotz.
Bei der Trauung ging es uns nicht um die Prophetengeschichte – es ging um die unbedingte Verwiesenheit aufeinander: Gemeinsam als Ehepaar, denn “sonst ist der Weg zu weit für dich” allein. Doch auch dies hat gewissermaßen „prophetischen Charakter“: Denn in einem radikal weltlichen Alltag kann die Verwiesenheit aufeinander, das unbedingte Angewiesensein auf den Nächsten, eine Antwort auf die Leerstelle bieten, die Elija und wohl viele Menschen empfinden: die Leerstelle eines abwesenden Gottes.
Szenenwechsel: Im Dezember 2018 betritt ein zierliches 15-jähriges Mädchen die Bühne der Weltöffentlichkeit. In einer kurzen Rede bei der UN-Klimakonferenz in Katowice liest Greta Thunberg den Delegierten gehörig die Leviten: „Ihr seid nicht erwachsen genug, die Wahrheit zu sagen“. Die Wahrheit wäre, dass die Welt auf eine Klimakatastrophe zurast und die Politik die Zukunft kommender Generationen verspielen. Prophetische Kraft enthielt dieser Moment, da er so unerwartet kam – aus heiterem Himmel, aus dem Mund eines Kindes – und da er die öffentliche Debatte über den Klimawandel weit mehr bewegte als das Abschlusspapier der Konferenz.
Es braucht solche prophetischen Stimmen, die in kein Schema passen; die mit entwaffnender Leichtigkeit der Welt den Spiegel vorhalten und damit unsere eingespielten Prozesse unterbrechen. Stimmen, die dem Rad in die Speichen fallen und die mit Empathie und Mitleidenschaft der Gleichgültigkeit entgegentreten. Das kostet Kraft – und entsprechend oft sind Propheten der Verzweiflung nahe. So wie die kleine Greta Thunberg, die in eine Depression schlitterte. Oder wie der Prophet Elija, der sich gar den Tod wünschte. Hoffen wir, dass es genügend Engel gibt, die ihnen auf die Schulter klopfen und sagen: „Steht auf und esst – sonst ist der Weg zu weit für euch“.
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Mat Flo (Montag, 09 Dezember 2019 17:39)
Ich gestehe, dass ich bei Greta Thunberg keine "entwaffnende Leichtigkeit" höre. Das scheint mir eine gewünschte Projektion zu sein. Und sie unterbietet auch das Wort an Elia und seinen solidarischen Grundton. Da ist ja gerade nicht der Weg des solitären Propheten, der in eine Depression schlittert, im Blick, sondern ein Gegenüber, das sich - auch das wird Greta bedauern - nur im leisen Hauch blicken lässt.
Aber ich komm auf die Seite wegen des Interviews mit Habermas und leichtem Gebäck. Sehr nett.