Was ist heute konservativ?

Politische Parteien und ihre feuilletonistischen Wiedergänger zeichnet derzeit eine erschütternde intellektuelle Ödnis aus. Am deutlichsten tritt diese Dürre in den Reihen des neuen, alten Konservativismus zutage.

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Es ist nicht leicht, in diesen Tagen ein aufrichtiges politisches Bekenntnis zu sprechen. All überall hat der Vor- und Nachwahlkampf verbrannte Erde hinterlassen. Schlägt das Herz auch links, der Verstand verweist doch kopfschüttelnd auf den grünen Trümmerhaufen und auf eine personell und inhaltlich ausgebrannte Sozialdemokratie. Auf der anderen Seite stößt das unverhohlene Jubelgeschrei der Konservativen und ihrer geistigen sowie publizistischen Fackelträger zutiefst ab: Die "linke Hegemonie" ist endlich gebrochen, schwirrt es siegestrunken durch die Feuilletons. Rot ist tot, endlich geht was weiter in der Republik. Sozial ist, was Arbeit schafft – und Flüchtlinge in ihre Schranken weist.

 

Keine Spur von Demut, kein Innehalten, keine Ortsbestimmung. Keine Spur auch von Selbstkritik, hat man doch die Misere, in der man das Land jetzt wähnt, in den großkoalitionären Jahren selbst mit zu verantworten. Sebastian Kurz gibt den smarten Verführer, dessen ganze Manier signalisiert: Ich mach das schon: FPÖ einhegen, Flüchtlingsrouten austrocknen, Sozialsystem konsolidieren. Kein Problem. Schließlich wird jetzt durchregiert. Doch man mache sich nichts vor: sollte es nicht gelingen, einen zeitgemäßen, auch intellektuell gesättigten Konservativismus zu etablieren, so wird die entfesselte Zornenergie der Rechten – und gebärdet sie sich noch so staatsmännisch wie Heinz-Christian Strache in seiner aktuellen Elder Statesman-Inszenierung – früher oder später auch die sich bürgerlich gerierenden Parteien entweder hinwegfegen oder von innen zernagen.

 

Es genügt nicht, konservativ zu empfinden – es braucht eine intellektuelle Grundierung dieser Haltung, ansonsten droht sie zu einer Prolongierung der Gegenwart zu verkommen. Gefangen in der Raute Angela Merkels. 

 

Anders gesagt: Wer seine sieben Sinne beisammen hat, der wird nicht umhinkommen, eine politische Heimatlosigkeit einräumen zu müssen. Eine Heimatlosigkeit indes, die umso schmerzhafter wird, je lauter darauf mit national-mentalen Schwelgereien und verkitschter Heimatidylle geantwortet wird. Je lauter die Unterbergers der Nation und ihre treue Gefolgschaft in Sprechchören die vermeintlich exklusiv-christlichen Werte wie Familie, Leistung, Anstand, christliche Prägung, Heimat, Disziplin, Recht und Ordnung in die Echokammern ihrer Filterblasen injizieren, desto mehr sollte es den sensiblen konservativen Geist schütteln. Mir san halt scho lang nimmer nur mir. Sondern Europa, Islam, Multikulti, Zuwanderungsgesellschaft, Patchworkfamilien – das kann man ablehnen, aber nicht wegschreiben, nicht durch Stacheldraht an Grenzen und in Hirnen fernhalten.

 

Und so scheint eine Besinnung auf das, was heute aufrichtig als konservativ behauptet und vertreten werden kann, dringend vonnöten. Es genügt schließlich nicht, konservativ zu empfinden – es braucht eine intellektuelle Grundierung dieser Haltung, ansonsten droht sie zu einer Prolongierung der Gegenwart zu verkommen. Gefangen in der Raute Angela Merkels. Dann gilt es, Erich Frieds Diktum als Mahnung in Erinnerung zu rufen: "Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt."

 

Vielleicht wäre konservativ zunächst einmal dies:

Die Einsicht in die Fragilität der vermeintlich starken Begriffe

– Leben, Gesellschaft, Religion.

 

Es ist daher an der Zeit, sich zum empören. Zu empören über die Geringschätzung, die einem als Wähler derzeit entgegengebracht wird. Konservative Politik in Manier der neuen, alten Volkspartei erfüllt nämlich auf erschreckende Weise die zentralen Momente dessen, was der Politologe Colin Crouch bereits vor Jahren als "Postdemokratie" bezeichnet hat: Institutionen funktionieren weiterhin, aber der offene Diskurs, der Streit um das gute Leben, die gute Gesellschaft ist weitgehend ausgefochten oder stillgestellt. Spindoktoren bestimmen die Foren der öffentlichen Meinungsbildung; Aufreger werden zur Marketingmasche, das hehre Ideal eines alles durchwirkenden Politischen schrumpft zur technokratischen Realpolitik einer Funktionärsklasse.

 

Wie wäre also ein konservatives politisches Ethos zu bestimmen? Vielleicht wäre konservativ zunächst einmal dies: Die Einsicht in die Fragilität der vermeintlich starken Begriffe – Leben, Gesellschaft, Religion. Denn auf der einen Seite braucht es das Innehalten und die Reflexion auf das gute Leben für den Einzelnen sowie für alle – es braucht die Reflexion auf das Gemeinwohl –, auf der anderen Seite jedoch ist das Heterotope, das Uneinheitliche, die Fragmentierung in Permanenz zu einem alle modernen Gesellschaften durchwirkenden Prinzip geworden, hinter das es kein Zurück mehr gibt – außer man sehnt sich nach Zuständen wie in Nordkorea.

 

Gerechtigkeit wäre eine weitere Triebfeder einer sich konservativ gebärdenden Politik. Gerechtigkeit allerdings, die mehr meint als bloße wirtschaftliche Fairness oder prozedurale Chancengleichheit: Gerechte Politik wäre eine Politik, die sich von der Frage nach dem guten Leben für alle leiten lässt. Wohlgemerkt, die sich leiten lässt von einer Frage, die also nicht schon immer die Antwort zur Hand hat. Und die keine gesellschaftliche Gruppe von dieser Fragestellung ausschließt. Auch keine Flüchtlinge und Migranten. Denn gute Politik wurzelt nicht in Homogenität, sondern in der Verschiedenheit der Menschen. Wer Pluralität aufhebt, hebt Politik auf.

 

Eine Besinnung auf ein Ethos des Konservativismus müsste weiters wohl darin bestehen, die zersprengten Teile der Geschichtsphilosophie wieder zusammenzusuchen. Schließlich zehrt der Konservative aus der Geschichte – jedoch nicht, um sie zu prolongieren, zu konservieren, sondern um sie zu humanisieren, um sein Ohr an sie zu legen und die Schreie der Verzweiflung hörbar zu machen. Denn er weiß: Leben ist immer schon beschädigtes Leben. Wissend um die Schultern, auf denen man steht, wissend auch um die Verletzungen, die die Geschichte und Menschen in der Geschichte zugefügt haben und zufügen. Trauer und Schmerz gehören insofern zu den zentralen konservativen Tugenden.

 

Ist es nicht ein wenig dürftig, ständig auf die christlichen Wurzeln eines Landes, eines Kontinents zu pochen, wenn diese immer weniger vom Lebenssaft einer unprätentiösen christlichen Alltagspraxis durchpulst werden?

 

Und wo bleibt da die Religion?, mag da manch einer fragen. Diese sollte gewiss auch in einem konservativen Herzen ihren Platz finden – indes wohl nicht als Merkmal der Exklusion, sondern als Schule des Sehens und Fühlens. Denn ist es nicht ein wenig dürftig, ständig auf die christlichen Wurzeln eines Landes, eines Kontinents zu pochen, wenn diese immer weniger vom Lebenssaft einer unprätentiösen christlichen Alltagspraxis durchpulst werden? Sieht überhaupt noch jemand im eigenen konservativen Milieu den Widerspruch, der sich zwischen einer härteren Gangart in der Flüchtlingsfrage und einem christlichen Ethos auftut, welches den Anderen als den Leidenden in den Mittelpunkt rückt?

 

Konstruktiver Konservativismus wäre also angesagt statt polternder Siegestaumel. Und eine Besinnung darauf, dass Politik aus konservativer Sicht immer mehr meint als bloße Politik. Dass sie sich aus einem überschießenden  Moment gespeist weiß. Lasst daher Politik nicht zur Kunst des Möglichen verplatten! Gebt ihr Flügel, macht sie – mit Slavoj Zizek gesprochen – zur Kunst des Unmöglichen! Am Ende wäre das dann keine konservative Politik mehr. Es wäre gute Politik.

 

Erschienen in: "Die Furche" am 23. November 2017

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Stefan Pfeifer (Samstag, 02 Dezember 2017 17:08)

    Amen!

    Aber was kann man jetzt konkret politisch tun?

    Liebe Grüße
    Stefan