Der unorthodox Orthodoxe: Zum Tod von Tiemo Rainer Peters

Er stand zeitlebens im Schatten seines Lehrers Johann Baptist Metz - und doch war er ein zentraler Impulsgeber der Neuen Politischen Theologie: Eine Würdigung zum Tod des Dominikaners und Theologen Tiemo Rainer Peters.

Foto: P. Philipp J. Wagner OP / Dominikanerorden
Foto: P. Philipp J. Wagner OP / Dominikanerorden

 

Widerstand und Ergebung: Wohl kaum ein Begriffspaar erscheint treffender, um den glücklichen Zusammenfall von Biografie und Theologie des Münsteraner Theologen und Dominikaner-Paters Tiemo Rainer Peters zu beschreiben. Es war nicht nur das Werk des großen evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, dem diese Formulierung entlehnt ist und dem Peters zeitlebens nachspürte, sondern auch die Spannung aus theologischer Auflehnung und gläubiger Ergebung, die Peters auszeichnete. Auflehnung gegen jede theologische Vollmundigkeit, die Begriffe wie Erlösung, Gnade und Reich Gottes vorschnell einer verständnislosen Moderne entgegenschleudert und sich in Folge in die eigenen akademischen Katakomben zurückzieht; und schließlich Ergebung in das sich der bloßen Ratio entziehende Geheimnis Gottes. 

 

Zur Tragik des Theologen Peters zählt wohl die Tatsache, dass es ihm zeitlebens schwer gefallen ist, aus dem Schatten des großen Münsteraner Theologen Johann Baptist Metz herauszutreten. "Schüler" - dieses Wort lastete schwer auf seinen Schultern und sorgte immer wieder auch für Momente der Bitterkeit; schließlich war Peters weit mehr als ein Schattenmann - er war Mastermind, Ideengeber, gedanklicher Katalysator für viele Akzente der Neuen Politischen Theologie, die indes vor allem mit dem Namen Metz' verbunden wird. Zentrale Werke zur Neuen Politischen Theologie wie etwa "Glaube in Geschichte und Gesellschaft" wären ohne Peters wohl nie in dieser Form entstanden; auch übernahm Peters gerade in den 1970er und 80er-Jahren eine wichtige akademische Vermittlungsrolle ein, war die Neue Politische Theologie doch akademisch noch gleichsam heimatlos und in ihrer sozialphilosophischen Durchdringung für viele Studenten "hartes Brot". 

 

"Indem ich Theologie treibe, setze ich eine noch andere, frühere, radikalere Dimension voraus, die Erfahrung nämlich, dass man Gott im Grunde gar nicht nur sagen kann, sondern zuvor schon beansprucht haben muss."

 

Geschichtliche Leidenserfahrungen, eschatologische Heilserwartung und praktische Solidarität: Es sind dieser drei Pole, die bis heute das produktive Spannungsfeld der Metzschen Theologie auszeichnet - und die zugleich auch jene Punkte waren, an denen sich Peters zeitlebens und durchaus mit anderen Akzenten abarbeitete. Ein solcher, anderer Akzent betrifft etwa die persönliche, ans Bekenntnishafte, ja, Orthodoxe erinnernde Note, die Peters seiner Theologie gerade auch im fortgeschrittenen Alter - und mit fortschreitender Krankheit - gegeben hat. So formulierte er einmal in dem Gesprächsband "Wenn ich Gott sage...": "Indem ich Theologie treibe, setze ich eine noch andere, frühere, radikalere Dimension voraus, die Erfahrung nämlich, dass man Gott im Grunde gar nicht nur sagen kann, sondern zuvor schon beansprucht haben muss. Nur im praktischen Vollzug gerät man in die Nähe dessen, was wir Gott nennen". 

 

 

So blieb er zuvorderst immer persönlicher, intimer Gottsucher und in dem Sinne ein tiefgläubiger, ja orthodoxer Dominikaner, dem die Ergebung mehr und mehr zur Option wurde, je näher er dem Tod theologisch wie biografisch kam. "Ich bin einmalig, unvergleichlich, unverwechselbar. Nicht nur dann und dort, wo ich über mein Leben und seine Möglichkeiten verfüge, sondern auch da, wo ich seine Last und sein Elend zu tragen habe", notierte er etwa in einem sehr persönlich gehaltenen Beitrag in der Zeitschrift "miteinander" im Jahr 2014. "Der Tod ist nicht alles, darf es nicht sein, weil er das ganze Leben mit seiner Tödlichkeit verderben würde", rang Peters darin um den Strohalm der teuren, nicht der billigen Gnade. 

 

"Den vom Tod Gezeichneten blieb allemal nur die ganz unzeitgemäße, ganz unvernünftige Sehnsucht nach Auferstehung, der Schrei nach umfassender, über-natürlicher Erlösung." 

 

Stets blieben diese Erkundungsgänge zu den existenziellen Erfahrungen bei Peters geschichtsgesättigt - nie verharrten sie im luftleeren Raum geschichtsloser Entrücktheit. Nicht umsonst war er einer der Motoren der Rede von einer Theologie, ja, Christologie nach Auschwitz - einer Rede von Gott angesichts jener tiefwurzelnden Katastrophe, die nicht nur Leichenberge zurückließ, sondern die die metaphysischen Wurzeln des Menschen zutiefst verletzte. "Den vom Tod Gezeichneten", so schrieb Peters in der frühen Schrift "Tod wird nicht mehr sein", "blieb allemal nur die ganz unzeitgemäße, ganz unvernünftige Sehnsucht nach Auferstehung, der Schrei nach umfassender, über-natürlicher Erlösung. Keine noch so gesellschaftskritische Vernunft reicht an den darin zum Ausdruck kommenden Protest gegen die Verhältnisse, in denen auf Gedeih und Verderb gelebt und gestorben wird, heran." 

 

Da ist es wieder, das Motiv des Widerstandes, nicht um der bloßen Geste willen, sondern um der Ernsthaftigkeit und Tiefe der Hoffnung willen, die der biblische Glaube gerade für jene bereithält, denen die Welt Hoffnungslosigkeit attestiert. 

 

 

Tiemo Rainer Peters wurde am 17. Oktober 1938 in Hamburg geboren. 1960 trat er in den Dominikanerorden ein und studierte zunächst an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Dominikaner in Walberberg. 1966 folgte die Priesterweihe. 1969 wechselte Peters an die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Münster, wo er 1974 mit einer Arbeit über die Präsenz des Politischen in der Theologie Dietrich Bonhoeffers bei Johann Baptist Metz promovierte. 

 

In Folge arbeitete als Assistent von Metz u.a. an der Konzeption des (letztlich nie realisierten) bikonfessionellen Theologischen Instituts der Universität Bielefeld und der Weiterentwicklung und Vermittlung der neuen Politischen Theologie mit. Von 1979 bis zu seiner Emeritierung 2004 war er Akademischer Rat am Seminar für Fundamentaltheologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. 

 

Peters war Autor zahlreicher Bücher - noch in diesem Jahr erschien das von der Kritik vielbeachtete Buch "Entleerte Geheimnisse. Die Kostbarkeit des christlichen Glaubens". Am 25. November starb Peters nach langer Krankheit mit 79 Jahren in Münster. 

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