Rezension: Licht am Ende des Tunnels

In Markus Orths neuem Roman treffen Stan Laurel und Thomas von Aquin in einem dunklen Tunnel aufeinander und nehmen den Leser mit auf eine mitreißende intellektuelle Reise quer durch Biografien und Philosophien – völlig verrückt, unzeitgemäß und gerade deshalb so elektrisierend.

Foto: Cover von Markus Orths, Picknick im Dunkeln
Foto: Cover von Markus Orths, Picknick im Dunkeln

Thomas von Aquin. Ausgerechnet. Wer Philosophie- oder Theologiestudierende quälen will, der greift gern auf diesen Denker und Heiligen aus dem 13. Jahrhundert zurück. Den Gläubigen zu philosophisch, den Philosophen zu christlich. Auf der anderen Seite Stan Laurel, der kongeniale Partner von Oliver Hardy, dem Duo, das vor Urzeiten als „Dick und Doof“ in Schwarz-weiß über die Leinwände flackerte. Alles Schnee, alles Personen von gestern. Mag man meinen. Tatsächlich schafft es aber der Autor Markus Orths in seinem neuen Roman „Picknick im Dunkeln“, eben jenen beiden Figuren literarisches Leben einzuhauchen und sie auf eine aberwitzige und zugleich ungemein geistreiche Reise zu schicken.

 

Auf der Handlungsebene ist die Geschichte rasch erzählt: Stan und Thomas, deren Biografien 700 Jahren trennen, treffen sich in einem dunklen Tunnel. Nicht ist zu erkennen, sie sind völlig zurückgeworfen auf sich, auf ihren Verstand, auf die Hilfe durch den je anderen. Gemeinsam tasten sie sich entlang glatter Wände voran. Dabei reden, diskutieren, streiten sie. Im wahrsten Sinne über Gott und die Welt. Licht, Erleuchtung gar erreicht Stan erst ganz am Ende in Form eines brennenden Daumens – ein zündender Gag aus einem seiner Filme, dessen er sich erinnerte, bevor er – von Thomas Weisheit bereichert – sein Ende findet, und Thomas – der stille, sture und humorlose Ochse – durch Stan zu neuer, kindlicher Albernheit und Lebensfreude findet.

 

Orths ist ein Meister tiefgründigen und zugleich ungemein witzigen Erzählens. Seine Romane und Erzählungen haben dem gebürtigen Niederrheiner daher nicht nur zahlreiche Auszeichnungen beschert, sondern auch Poetikdozenturen in Bamberg und Paderborn. Ob er mit seinem neuesten Roman, der von der ersten Seite an keinen Zweifel daran lässt, dass er mehr sein möchte als ein kurzweiliges, gleichwohl skurriles Stück Unterhaltung, tatsächlich so etwas wie eine philosophische oder gar theologische Agenda verfolgt, sei dahingestellt. Tatsächlich aber schafft es die geschickte Montage aus Dialogen und detailreich ausgeschmückten biografischen Skizzen, den Leser soweit in die Geschichte hineinzuziehen, dass er die Versuchsanordnung, die Künstlichkeit der Szenerie fast vergisst.

 

Was tröstet, wenn sich nachtschwarz die Gewissheit Bahn bricht, dass der Tod wartet und dass er endgültig ist – zumindest für jene, die nicht glauben (können)? Sind es Erinnerungen an verronnenes Glück und Liebe? Ist es das hemmungslose Lachen, mit dem Stan das Schicksal und seine aus seiner Perspektive rettungslose Sinnlosigkeit einfach aus- und weglachen will? Oder ist es der getaufte Verstand des Thomas, der nichts anderes zu denken erlaubt, als dass es einen Gott gibt, der rettet, da alles andere in den Wahnsinn führen würde? „Bitte nicht faul denken“, appelliert Thomas an Stan – und das Buch an seine Leser. 

 

Es ist wohl vermessen, einen Roman daraufhin abzuklopfen, ob er den historischen Figuren, die er zitiert, in allen Belangen gerecht wird. Und doch: Orths hat neben Anglistik und Romanistik auch Philosophie studiert. Und so fällt die literarische Skizze des Thomas erstaunlich ausgewogen aus. Wenn er Thomas etwa die Weltzugewandtheit seines großen Lehrers Aristoteles ausführen lässt, wenn er die körperliche Fülle und augenscheinliche Lust am Essen des Thomas mit seinem streng monastischen Leben kontrastiert, wenn er schließlich Thomas mit den Worten zitiert, dass jeder Irrtum über die Schöpfung in ein falsches Denken über Gott münde, so ist das nah am thomistisches Denken.

 

Warum aber ausgerechnet diese beiden? Stan und Thomas suchen selber nach Antworten, finden viele biografisch verbindende Details. Doch letztlich ist es Stan, der den Leser im dunklen Tunnel der Verstrickungen an die Hand nimmt und Antwort gibt: „Vielleicht ist es auch vollkommen egal, wer genau sich hier im Finstern trifft, vielleicht geht es nur um das Ende der Einsamkeit.“ Wer auf Licht am Ende des Tunnels hofft, den wird das Ende wunderbar überraschen. Glasklar indes wird, was Orths selbst verfolgt, als er an einer markanten Stelle aus der sonst streng durchgehaltenen Erzählperspektive ausbricht und dem Leser die Sätze entgegenschleudert: „Schluss mit dem Tod. Was bleibt, ist das Leben.“

 

Erschienen in: "Cicero" | Ausgabe 5 | Mai 2020 

 

Webtipp: www.markusorths.de

 

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