„Christliche Familie“? Vergiss es!

Unsere älteste Tochter ging in diesem Jahr zur Erstkommunion. Als Theologe und Kirchenmitarbeiter war es für mich daher Ehrensache, eine Tischgruppe zu übernehmen. Ein lehrreicher Einblick in den Niedergang gelebter familiärer Religiosität.

Foto: Henning Klingen / privat
Foto: Henning Klingen / privat

So schwierig wird das schon nicht sein. Hab ich mir anfangs gedacht, als ich beim ersten Elternabend zur Erstkommunion unserer Tochter auf die Frage des Pfarrers die Hand hob, wer sich vorstellen könne, eine Tischgruppe zu übernehmen. Irritation unter den Anwesenden Eltern – vorwiegend Mütter: ein Tisch-Vater? Das hat es wohl in unserer Pfarre so noch nicht gegeben, dass sich ein Vater in die vermeintliche Frauendomäne hineinreklamiert. Umso glücklicher war ich, als sich ein weiterer Vater bereit erklärte, gemeinsam mit mir eine von vier Tischgruppen zu leiten und sieben der insgesamt 24 Kinder auf die Erstkommunion vorzubereiten.

 

Tatsächlich gestalteten sich die Tischrunden dann als viel aufwändiger und herausfordernder, als wir uns das im Vorfeld dachten. Aufwändig, da das zur Verfügung gestellte Material kaum brauchbar war und mich die zusammenkopierten Zettel noch an meine eigene Erstkommunion-Vorbereitung erinnerten. Herausfordernd hingegen vor allem pädagogisch, da ich mir die Bändigung der Halbwüchsigen tatsächlich leichter vorgestellt hatte. Inspirierend für die inhaltliche Vorbereitung der Tischrunden war der Blick in die Materialsammlungen der diözesanen „Behelfsdienste“. Insbesondere das Angebot meiner eigenen Diözese St. Pölten hat mich angenehm überrascht: Eine günstige und gut illustrierte Werkmappe mit Lied- und Textvorschlägen sowie Fragen und Aufgaben.

 

Der Austausch mit den Eltern bestätigte uns darin, dass der Mix und die Richtung offenbar stimmten: Die Zustimmung war groß

 

Letztlich hilft jedoch alle Akribie in der Vorbereitung nichts, wenn sich das Interesse für die Sache bei einzelnen Kindern einfach nicht wecken lässt. So versuchten wir es mit einem Mix aus thematischen, eher theoretisch und textlastig gehaltenen Einheiten und praktisch-spielerischen Einheiten – vom Kerzen-Basteln bis hin zur Kirchen-Ralley und einem Abschluss-Stockbrot-Backen. Die Gruppe fand sich so immer mehr und wuchs zu einer Einheit zusammen. Der Austausch mit den Eltern via Whatsapp im Anschluss an jede Tischrunde bestätigte uns darin, dass der Mix und die Richtung offenbar stimmten: Die Zustimmung war groß – ebenso der Dank für unsere Mühen.

 

Doch was mich tatsächlich irritierte, war das hohe Maß an religiösem Analphabetismus und Desinteresse – einfachste Fragen nach kirchlichen Gegenständen oder auch nach Glaubensthemen wurden mit ebenso fragenden Gesichtern quittiert. Hat der Religionsunterricht versagt? Oder die Eltern? Oder die Pfarre? Oder wir? – Aufhorchen ließen mich die Schilderungen der Kinder vom Ablauf ihrer Wochenenden: Computerspielen und Fernsehen waren Synonyme für ein gelungenes, erholsames Wochenende. Bei den Kindern wie bei den Eltern. Gottesdienstbesuche? Höchstens zu Weihnachten und Ostern.

 

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin weder für ein Medien-Bashing zu haben noch Verfechter einer rigiden kirchlich-gottesdienstlichen Disziplin. Überhaupt nicht. Ich selber halte das ja auch nicht durch – wer bin ich also, dies von anderen zu verlangen! Aber es zeigte mir doch, dass alles hehre Gerede vom Ideal einer „christlichen Familie“, wie es von Bischöfen wie von kirchlichen Familienorganisationen so gerne intoniert wird, an der harten Wirklichkeit rüde zerschellt. Das tägliche bzw. abendliche Gebet, der sonntäglich-selbstverständliche Gottesdienstbesuch, ein gerüttelt Maß an religiösem Wissen, der lebensweltliche Einklang mit dem Rhythmus des Kirchenjahres – alles Schall und Rauch. Zumindest in meinem direkten Umfeld.

 

Ein Abbruch kann nur geschehen, wo vorher Berührung, eine Brücke bestand. Ich zweifle, ob diese überhaupt noch vorausgesetzt werden kann.

 

Die Firmung, so heißt es in der Pastoraltheologie, sei heute ein „Kirchenabschieds-Sakrament“ – also jenes Sakrament, nach dem der Kontakt der Jugendlichen mit der Kirche in der Regel völlig abbricht. Mir scheint, selbst das ist noch eine romantische Vorstellung. Der Abbruch geschieht bereits viel früher, mehr noch: ein Abbruch kann nur geschehen, wo vorher Berührung, eine Brücke bestand. Ich zweifle, ob diese überhaupt noch vorausgesetzt werden kann.

 

Vielleicht haben wir intuitiv in unserer Tischgruppe den „richtigen“ Weg gewählt: Ein Weg, der nicht über Gott und Kirche belehren wollte, sondern bei dem wir versucht haben, den Kindern Geschichten und Begriffe an die Hand zu geben, die eine alternative Deutung ihres Alltags zulassen: Kirche zwischen Gasthaus und Friedhof, also zwischen Leben und Tod; Sünde und Vergebung als Eckpfeiler eines um moralische Standards ringenden Lebens; schließlich Gottesdienst und Lobpreis als Verweis auf ein Leben, wie es sein sollte, aber leider in der Regel nicht ist: gelungen, perfekt, ganz. Das mag nicht dem klassischen Konzept einer Erstkommunion-Vorbereitung entsprechen – aber es hat zumindest kurzzeitig religiös gänzlich entwöhnte Kinder zu berühren vermocht.

 

Die Erstkommunion wurde schließlich zu einem gelungenen Fest - für meine Tochter, aber wohl auch für alle anderen Kinder unserer Tischgruppe. Wenn auch die Gewissheit nagt, einen Großteil der Kinder und ihre Eltern kaum mehr in der Kirche zu sehen – bis vielleicht die Firmung naht. Ein unbefriedigendes Gefühl, zu wissen, dass sich etwas ändern muss, ohne zu wissen, was und wie. Gewiss ist nur: Es wird nicht ohne das Mit- und Zutun der Eltern und Familien gehen. Kein noch so ausgebufftes Pastoralkonzept wird funktionieren, solange die Familien nicht eine eindeutige Antwort auf die Gretchenfrage geben: Wie hältst du‘s mit der Religion?

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