Der Münsteraner Theologe und Begründer der Neuen Politischen Theologie gilt als eine der prägendsten theologischen Figuren des 20. Jahrhunderts - Ein Portrait.
Was treibt jemanden dazu, Theologie zu treiben, leidenschaftlich, mit dem Pathos eines Berufenen? Viele sprechen vom "fascinosum", von der Ergriffenheit von Gott, vielleicht auch von einer spirituellen Not, die sie zur Theologie getrieben hat. Bei Johann Baptist Metz, dem großen deutschen Theologen, der am gestrigen Montag, 2. Dezember 2019, mit 91 Jahren in Münster verstorben ist, war es stets das Gegenteil: die dunkle Seite Gottes, das "tremendum", dass ihn bewegte und welches ihn zu einem der produktivsten und einflussreichsten Theologen der Nachkriegszeit werden ließ.
Sinnfällig schilderte Metz diesen zutiefst biografisch geprägten Zugang zur Theologie in einer Episode, als er - damals gerade einmal 16 Jahre alt - gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zu seiner Kompanie zurückkehrte. Dort fand er "nur noch Tote, lauter Tote", überrollt von einem Jagdbomber- und Panzerangriff. "Ich konnte ihnen allen, mit denen ich noch tags zuvor Kinderängste und Jungenlachen geteilt hatte, nur noch ins erloschene tote Antlitz sehen. Ich erinnere nichts als einen lautlosen Schrei." Eine Erfahrung, die Metz nicht etwa auf die Couch eines Psychiaters führte, sondern in die Kirche, in deren Raum er seinen lautlosen Schrei formulierte und in eine Anklage Gottes münden ließ.
Wo andere Theologen bereits kurz nach Kriegsende zu ihrem theologischen Alltagsgeschäft zurückkehrten und im Beharren auf der Kontinuität bürgerlicher Religiosität die dunklen NS-Jahre gleichsam als historischen "Fehler in der Matrix" übersprangen, wurde für Metz diese Erfahrung zur Unterbrechung und zum Anstoß der leidenschaftlichen Rückfrage an Gott. "Warum", so fragte Metz seinen Freund und Lehrer Karl Rahner, "habt ihr uns von diesen Katastrophen nichts erzählt? Warum sieht man unserer Theologie die Leidensgeschichte der Menschen so wenig oder überhaupt nicht an?"
Politische Theologie "nach Auschwitz"
Theologie "nach Auschwitz": dies war für Metz fortan nurmehr denkbar im Widerspruch gegen Gott, im Widerspruch auch gegen jene, die im Angesicht der Leidenden das vermeintlich gelingende Leben in spirituelle Watte gepackt zelebrieren. Mit Walter Benjamin gesprochen: "Dass es 'so weitergeht', ist die Katastrophe." So formuliert er die Frage Romano Guardinis, "Warum, Gott, zum Heil die fürchterlichen Umwege, das Leid der Unschuldigen?", um in die Frage nach dem "Wie lange noch?" - Eine Frage, die schließlich laut Metz auch biblischen Ursprungs ist, endet doch mit dieser zur Frage geronnenen Theodizee der neutestamentliche Erzählstrang in der Offenbarung des Johannes: "Maranatha", "Komm, oh, Herr Jesus!"
Das theologische Programm, dass Metz seit Anfang der 1960er Jahre in einem fruchtbaren Dialog mit den Vordenkern der Frankfurter Schule, Theodor W. Adorno und zuletzt Jürgen Habermas, entwickelte, benannte er selbst zunächst bezeichnenderweise als "Theologie der Welt", gemeint ist: Theologie mit dem Gesicht zur Welt. Als Grundformel seiner "Neuen Politischen Theologie" formulierte Metz bereits damals: "In ihr wird Welt primär als gesellschaftliche Mitwelt und Geschichtswelt, Geschichte primär als Endgeschichte, Glaube primär als Hoffnung, Theologie primär als eschatologisch-gesellschaftskritische Theologie sichtbar."
Anders formuliert: Wo Leidenserfahrungen die Hoffnung auf eine konsistente Heilsgeschichte Gottes brüchig werden lassen, wo die "Dialektik der Aufklärung" den Menschen mit voller Wucht trifft, dort ist der Mensch aufgerufen, gleichsam Gott zum Trotz die Geschichte als seine eigene, seine einzige Geschichte zu begreifen und Erlösungshoffnung in Befreiungshandeln umzumünzen.
Metz' Theologie ist damit Fundamentaltheologie im Sinne einer fundamentalen Theologie, die an den Fundamenten bürgerlich verfasster Religiosität rüttelt. Entsprechend darf auch der Terminus der "Neuen Politischen Theologie" nicht zu einer realpolitisch informierten Theologie verengt werden: "Politisch" bedeutet laut Metz "öffentlich-belangvoll". Damit wehrt er sich nach eigener Auskunft bis heute "gegen die Selbstprivatisierungssymptome in der Theologie und im Christentum", d.h. gegen den Reflex der Einigelung der Theologie in überkommener Heilsrhetorik.
Distanz zu Carl Schmitt
Außerdem wehrt sich Metz mit dem Terminus der "Neuen Politischen Theologie" gegen jene alte "Politische Theologie" des "Kronjuristen" Adolf Hitlers, Carl Schmitt. Hatte dieser in seiner "Politischen Theologie" ein Konzept der religiösen Legitimation staatlicher Hegemonie und totalitärer Gewalt formuliert und aus Metz Sicht damit eine Kernspaltung des Glaubens betrieben, so geht es der "Neuen Politischen Theologie" stets um das Gegenteil: die politische und gesellschaftliche Emanzipation des einzelnen Individuums - auch in seiner Haltung gegenüber Gott.
Dass man die Metzsche "Neue Politische Theologie" heute als eine der letzten profilierten Theologien bezeichnen kann, die in ihrer Sperrigkeit immer eine gewisse Distanz zur universitären Theologie wie auch zur kirchlichen Hierarchie bewahrt hat, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass sie ihre Produktivität ständigen Kämpfen und Streitigkeiten verdankt. Der bekannteste Konflikt ist dabei wohl der über rund 40 Jahren ausgetragene Streit zwischen Metz und dem damaligen Erzbischof von München-Freising, Joseph Ratzinger. Dieser hatte Metz 1979 einen Ruf an die Universität München verwehrt. Schließlich lehrte Metz bis zu seiner Emeritierung 1993 in Münster.
Biografische Notizen
Der nüchterne Blick auf die biografischen Stationen lässt - ähnlich wie bei seinem Lehrer Karl Rahner - nichts Außergewöhnliches erahnen. Es ist die intellektuelle Biografie eines Theologen, der die Menschen und das Leben liebt, der die Mühen der akademischen Tiefebene ebenso wenig scheute wie den seelsorglichen Nahkampf als Priester: Die "Kultur der Empfindsamkeit" ist für ihn keine wissenschaftliche Attitüde, sondern Realität seines Lebens - und so kritisierte er zuletzt "monströse Großraumpfarreien" und warb für Gemeinden, die "lernbereite Erzählgemeinschaften" bilden.
Metz wurde am 5. August 1928 in Auerbach in der Oberpfalz geboren. Nach Studien in Bamberg, Innsbruck und München promovierte er in Philosophie und Theologie und wurde 1954 zum Priester geweiht. Nach Jahren in der Seelsorge lehrte er schließlich 30 Jahre Fundamentaltheologie in Münster. Nach dem Konzil engagierte ihn der Wiener Kardinal Franz König als Berater des von ihm geleiteten römischen Sekretariats für die Nicht-Glaubenden. Zudem war Metz Mitbegründer der internationalen theologischen Zeitschrift "Concilium".
Großen Einfluss hatte Metz indes auch als Berater der Synode der Diözesen der Bundesrepublik Deutschland von 1971 bis 1975 in Würzburg. Der Synodenbeschluss "Unsere Hoffnung" über das Christsein im Alltag trägt seine Handschrift. Nach seiner Emeritierung lehrte der "sanftmütige Feuerkopf" (Th. Assheuer) u.a. an der Universität Wien, wo ihm 1994 ein Ehrendoktorat verliehen wurde. 2002 ehrte ihn der Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit mit der Buber-Rosenzweig-Medaille. 2007 erhielt er den "Theologischen Preis der Salzburger Hochschulwochen" für sein theologisches Lebenswerk.
Zu den wichtigsten Veröffentlichungen zählt neben dem Frühwerk "Zur Theologie der Welt" (1968) u.a. "Glaube in Geschichte und Gesellschaft" (1977) - gleichsam ein Kompendium des Ansatzes der Neuen Politischen Theologie -, "Memoria Passionis" (2006) und zuletzt der Band "Mystik der offenen Augen" (2011). Im Herder-Verlag erscheint außerdem die auf 10 Bände angelegte und vom emeritierten Wiener Fundamentaltheologen Johann Reikerstorfer herausgegebene Reihe "Johann Baptist Metz: Gesammelte Schriften".
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Alfons Keller, Altbürgermeister von Ebrach (Mittwoch, 22 August 2018 14:47)
Die Rechtfertigung des Glaubens war für Baptist Metz schon während seiner Zeit als Kaplan in Ebrach von 1958 - 1961 ein zentrales Thema und Anliegen mit dem er uns oft konfrontiert hat. Viel hat er während dieser Zeit von seinem damaligen Pfarrer Hermann Ruckdeschel, wie auch ich, an Lebenserfahrung gelernt.
Mit freundlichen Grüssen
ALFONS KELLER, Mühlrangenweg 6, 96157 Ebrach
Michael Strodt (Donnerstag, 17 November 2022 15:20)
Tatsächlich hat Baptist uns auch von seinen biographischen Erfahrungen als Kaplan in Ebrach erzählt, wo auch der Religionsunterricht zu seinen Aufgaben zählte. Dabei hat der junge Seelsorger von seinem Schüler gelernt, dass es vielleicht die Fähigkeit ist, Lachen zu können, die den Menschen vom Tier unterscheidet. Aber, ob dass wirklich wahr ist und auch für die Kuh gilt, die dem Schüler ans Herz gewachsen ist, erfährt man nur, wenn man sich auf den Weg macht, um diesem Tier leibhaftig zu begegnen. Später haben wir in Münster noch oft über dieses Lachen und Umberto Eco besprochen, der sagt: „… der Teufel ist nicht der Fürst der Materie, der Teufel ist die Anmaßung des Geistes, der Glaube ohne ein Lächeln, die Wahrheit, die niemals von Zweifeln erfaßt wird.“ Mich würde interessieren, was aus dem Schüler geworden ist?